Autofreie Altstadt: Absurdes Theater

Ja es gibt sie, die grüne Welle. Nur nicht in Winterthur. Überall in Europa und der Schweiz wird über verkehrsarme Innenstädte nachgedacht. Nur nicht in Winterthur. Hier macht eine grünliberale Stadträtin zusammen mit einem linksgrünen Stadtrat genau das Gegenteil. Man gibt sich alle Mühe, die Altstadt möglichst mit Autos zu füllen.

Jede Automobilistin, jeder Automobilist fährt beliebig in die Altstadt. Und die Stadtpolizei hilft tatkräftig mit. Sie erfindet fast täglich einen Grund für eine Ausnahmebewilligung, am liebsten gleich mit einer Jahresbewilligung. Elektrikerfirmen, Hauswartungen, Liftservicefirmen und natürlich Kurierfirmen werden für das Fahren belohnt. Take-away-Fahrten gelten als Güterumschlag, obwohl jede und jeder in der Altstadt höchstens 3 Minuten zu Fuss braucht, um einen Take-away-Betrieb zu erreichen. Wer sich eine selbsternannte Eat.ch-Tafel ins Auto legt, kann parkieren, wie er will. Die absurdeste Bewilligung ist eine Kurierbewilligung für die Kiwi-Kinos, damit sie vom Neumarkt zur Loge fahren können.

Der Winterthurer Stadtrat hat offensichtlich noch nie gehört, wie eine Fussgängerzone funktioniert. Wenn unsere Stadtratsmitglieder nach Italien oder Deutschland reisen, scheinen sie einfach die Augen zu schliessen. Dabei gibt es klare Regeln:

Eine Fussgängerzone funktioniert nur mit begrenztem Güterumschlag, zum Bespiel von 06.00 bis 12.00 Uhr. Nachher ist die Zone zu. In dieser Zeit braucht es auch keine grossen Kontrollen.

Ideal wäre, wenn die Zufahrt zur Altstadt ausserhalb der Güterumschlagszeiten verunmöglicht würde. (Poller, Schranken).

So halten es fast alle Städte in Europa, und es funktioniert einwandfrei. Wieso ist Winterthur da eine Ausnahme? Der Druck auf die Altstadt ist gewaltig: Immer mehr Kurierdienste fahren herum. Jede Liegenschaft hat eine eigene Hauswartung und fährt hinein. Man spricht von Umweltschutz und fördert den Verkehr. Mehr Glaubwürdigkeit wäre dringend nötig.


Ein später Nachmittag in der Inneren Tösstalstrasse:

Eine Wirtin ist nach dem Mittag in die Gasse gefahren (Güterumschlag), sie steht bis 18.00 Uhr in der Gasse. Ein schickes Auto fährt ein. Ein Mann geht in die Krankenkasse und gibt einen Brief ab. Zwei Mütter holen ihre Kinder ab, die ein Kickbox-Training absolviert haben. Ein Vater holt sein Kind in der Krippe ab. Die Freundin eines Thai-Boxers fährt in die Gasse und plaudert mit dem Boxer. Jemand geht in die Vinothek, trinkt ein, zwei Gläser Wein und trägt nachher einen Karton Wein zum Auto in der Gasse.

Das sind nur die offensichtlichsten Fälle, viele sind wahrscheinlich vergessen worden. Und nicht berücksichtigt sind alle Autos, die in die Neustadtgasse gefahren sind und dort vermutlich das gleiche gemacht haben.

Text: Paul Lehmann

7. Juni 2021